Ritzungen

2.1.2022
Die Wahrheit ist ein Monstrum, sobald ihr sie seht, seid ihr allein.
4.1.2022
Wenn es einen Gärfaktor gibt, dann ist es die Zeit.
6.1.2022
GRM von Sibylle Berg in einer Bahnhofsbuchhandlung angelesen und gleich wieder weggelegt. Sie sollte in die Politik gehen, dann muss sie nicht den Umweg über die Kunst nehmen.
7.1.2022
Es ist leichter zu schlafen als zu leben. Deshalb schlafe ich wahrscheinlich bis zu 12 Stunden am Tag.
8.1.2022
Warum ist die Realität immer noch trister als man denkt? – Weil man in einem Sample des Lebens vor sich hinvegetiert. Das Original kenne ich nicht.
9.1.2022
Man kann nie genug Schuhlöffel haben.
13.1.2022
Was soll das heissen, Mutter? – „Es geht in deinem Leben nicht vorwärts.“ Für eine wie mich, ist alles was nicht hinter mir liegt, vorwärts.
15.1.2022
Man kann nicht sagen, dass ich eine Faulenzerin bin. Von allen menschenmöglichen Beschäftigungen habe ich das Denken und Schreiben als produktivste Form des Daseins empfunden.
Wenn man es schon nicht ändern kann, dass einen der Strom des Lebens auf natürliche Weise mit sich nimmt, so lasse ich es mir nicht nehmen, an einzelnen Biegungen oder Untiefen der Reise, meine Gedanken zu notieren. Ich verstehe das Leben schon lange als Anlauf zum Tod. Ich empfände es als Gnade auf dem Sterbebett die Zeit zu finden, alles, was ich bisher geschrieben habe, noch einmal zu lesen.
17.1.2020
Die neue Lust der Staatskünstler einander zu „canceln“ entspringt dem Wissen um die eigene Schwäche. Es ist der billigste Weg, eine Konkurrenz ausschalten, indem man ihr die Bühne verweigert.
18.1.2022
Zum Recht jeder Wahrheitssuchenden gehört es, zu zweifeln. Wo der Staat selbst das Zweifeln verbietet, offenbart sich die hochmütige Fratze von Machthabenden. Hätten sie mehr als nur die Macht, nämlich die Wahrheit auf ihrer Seite, – sie könnten jeder Kritik, jeder Anti-These gelassen begegnen.
20.1.2022
Tatsachen – als „Läufer“ der Wahrheit auf dem Schachbrett der geheimen Mächte – lassen sich nicht widerlegen, indem man sie ausblendet oder ignoriert.
27.1.2022
Die Egoistin hat selten Orientierungsschwierigkeiten in einer neuen Umgebung: Alle Wege führen auf sie zu, oder von ihr fort, sie braucht sich nur zu folgen und schon ist sie am Ziel. Ach, wie gut ist es doch zu den Egoisten zu zählen!

3.2.2022
Das Leben derErfolgreichen beruht auf starkem Selbstwertgefühl. Wer sich selbst liebt und es sich gut gehen lässt, wird dieses Wohlsein auch anderen gönnen. Er erlebt die Welt bis zuletzt wie ein Kind, das keinen Unterschied zwischen Innen- und Aussenwelt ( ich hätte fast „Affenwelt“ geschrieben) kennt. Erst die Erfahrung von Schmerz trennt das Ich von der Welt. Eine Weltflüchtige sucht nicht mehr als Abstand zum Ort der Schmerzen halten. Vielleicht ist das ihr Geheimnis.
19.2.2022
Wenn man sich vorstellt, welche Prozesse sich in unserem Eingeweiden abspielen, müsste man eigentlich wanrsinnig werden. Ganz zu schweigen vom Prozess der Nahrungszersetzung im Darm – was da alles schiefgehen kann! Die Magen-Skulptur des Künstlers Stellarc lässt ahnen, was für eine perverse chemische Maschinerie nötig ist, um uns über die Runden zu bringen.
Ich glaube, Literatur ist nicht das schlechteste, was aus diesem Zersetzungsvorgang in unserem Inneren hervorgehen kann.
26.2.2022
Seit ein paar Tagen soll Krieg herrschen in der Ukraine. Ohne Fernseher und Radio bekommt man alles nur mit einiger Zeitverzögerung mit. Dass es die Russen sind, hat mich nicht überrascht. Russland wird, solange ich denken kann, gekränkt und gedemütigt. Die medialen Rosstäuscher machen es sich jetzt einfach: Der Russe hat den ersten Schuss abgegeben und basta. Was vorausgegangen ist, wird ignoriert, Kontext gelöscht. Nach dieser Methode brach man bereits zwei Weltkriege vom Zaun. Es dürfte niemanden überraschen, wenn es ein drittes Mal klappt.

28.2.2022
So wie sich nahezu jeder Krieg der Menschheit auf eine Kränkung zurückführen lässt, so liegt die Entstehungsgeschichte des Ressentiments im Verdacht, etwas mehr verdient zu haben als einem zugedacht wurde.
4.3.2022
Cool story, Instagram hoe : Was ist die viel gepriesene Freiheit des Westens anderes als die Verdinglichung der eigenen verkrüppelten Gefühlswelt im Internet ? Und: Die, welche wirklich nichts können, ausser nett auszusehen, haben die meisten „Follower“ ( was hasse ich dieses dumme, kleine, hohlklingende Wort). Ich gehe nie wieder in ein Internet-Café, auch nicht ins L‘ Idrovolante, was – wegen seiner Lage gegenüber der Isola Bella – eigentlich wunderbar ist.
6.3.2022
Die Folge von Massendemokratie ist Massenkultur. Doch diese vorläufig letzte Kultur kommt nicht aus den Reservaten der schönen Künsten, sie kommt aus den sweat shops New Yorks und den Weltfabriken, wo Sklavinnen die Ledersohlen von Luxus-Turnschuhen weichkauen… Unsere wahre Kultur ist der Massenkonsum, der alle sozialen Schichten bedient. Die post-demokratische Massengesellschaft repräsentiert daher nur die geduldete Herrschaft einer sich durch Gleichheitspopulismus legitimierenden Elite, die weder rechts, noch links, noch aus Mitte regiert: Würde man sie Anarcho-Kapitalisten oder Feudal-Anarchisten nennen, es wäre ihnen geschmeichelt.
7.3. 2022
Kritik galt lange Zeit als Salz der Gesellschaft. Der Geschmack der Generation Selfie tendiert eher zu lauwarmen Fast & Fingerfood wie es von den Privaten serviert wird.
9.3.2022
Mutter tot. Aus. Die Ärzte behaupten, sie starb an Corona, dabei war Mutter doppelt und dreifach geimpft. Das Datum ist leicht zu merken 9-3-6, meine Lieblingszahl.
11.3.2022
11 Uhr, Beerdigung. Keiner da, ausser mir und einer Frau, der Mutter angeblich noch 50 Franken schuldete. «Können Sie vielleicht …?» – Nein, kann ich nicht. Ein Schwarzrock fragte mich, ob ich noch etwas sagen wollte. Ja, das wollte ich: „Mutter, Mutter, warum hast du mich mittellos in die Welt gesetzt? Bist du noch ganz richtig im Kopf? Mutter, merkst du nicht, mich erwartet eines Tages die Altersarmut. Oder ich werde mir doch noch einen Erbbauern suchen. Ist das nicht Wahnsinn, Mutter, dein Fleisch und Blut in so eine Lage zu bringen? Warum nur, was habe ich dir getan?“ Natürlich sagte ich nichts. Eine Urne hat keine Ohren. Es ist aus.
22.3.2022
Eine lebendige, schön klingende Sprache ist das, was eine Gesellschaft verbindet. Eine zersetzte, ideologisch verschleimte und verunstaltete Sprache, löst sie auf.
24.3.2022
Die Wonne des Unterkomplexen: Frisch gebackenes Brot, ein Viertel Zieger, schwarzer Tee ohne Zucker. Wer braucht schon den fettigen Restaurantfrass? Wenn man jetzt alles richtig macht, ist man am Ende der Quarantänemassnahmen 10 Kilo leichter.
2.4.2022
Die Mode – als tragbare Kunst – ist der Versuch des Menschen eine stilisierte Maske vor die Fratze der Triebe zu schieben, – was zur so genannten kultivierten Lebensart führte.
Nichtsdestotrotz staune ich immer wieder, wie viele Möglichkeiten es für Frauen gibt, sich unmöglich zu machen. Anstatt auf natürliche Anziehung , setzt man offenbar auf die grosse Verwirrung – was vielleicht daran liegt, das die eine weibliche Hälfte der Modewelt in die Hände von – Verzeihung – Tunten gefallen ist. Ich finde es trotzdem bemerkenswert, dass es so viele emanzipierte Frauen hinnehmen, dass sie wie Transen zurechtgemacht werden.

1.5.2022
Es gibt eine Einsamkeit, die zur E i n s a m h e i t – , das heißt, einer singulären Wesenheit – führt. Man wird eins mit dem Gefühl einsam zu sein und hat an sich genug. Zu meiner wachsamen E i n s a m h e i t ist zu sagen, dass sie in mancher Hinsicht Brahms‘ Feldeinsamkeit entspricht: In dieser Hinsicht wirkt das Virus wie Lackmus-Papier in einem Vitriol-Bad. Wie einsam muss eine Frau sein, wenn sie Popsongs neuerdings als Botschaften, die für sie bestimmt sind, versteht?
Ja, ich schreibe von mir. Während ich meinen Tag plane, versinke ich bereits in meinem typischen „Selbstbeschäftigungskoma“. Keine Ahnung, wohin das noch führen wird. Dunkler kann es eigentlich nicht mehr werden. Ich lebe wie unter einer veränderten Schwerkraft, die Kapitel von meinem Roman lesen sich wie bleierne Brieftauben, sie segeln sicher nicht federleicht auf den Schreibtisch eines Verlegers, sondern dürften dort wie Bomben einschlagen.
1.6.2022
Jede Tür ist ein Kosmos des Halboffenen. Wir sehen jetzt seltener durch unsere innere Türen.
4.6.2022
Um andere auf Grenzen aufmerksam zu machen, muss man diese selbst überschreiten.
1.10.2022
Man muss nicht alles wissen, das Wichtigste würde reichen.
Und hier beginnt der problematische Teil: Um zu wissen was wichtig ist, müsste man in der Lage sein Echtes von Fake zu unterscheiden. Niemand kennt mehr eine halbwegs zuverlässige Skala. Das überflüssige Wissen in unseren Köpfen entspricht dem überflüssigen Zeugs in unseren Schränken. Trotzdem sammeln wir noch mehr Informationen, wir horten „nützliche“ Fakten wie etwa das Wissen, dass Schreiben ein Zusammenspiel von 57 Muskeln in Hand und Arm erfordert, oder dass jeder menschliche Körper genug Kohlenstoff besitzt um an die 9000 Bleistifte zu „verminen“. Ganz schön ergiebig für einen Körper, der im Durchschnitt aus zehn Kilo Eiweiß, zehn bis fünfzehn Kilo Fett, einem Kilo Kohlenhydrate, drei Kilo Mineralstoffe und fünfunddreißig bis vierzig Lilo Wasser besteht. Eine durchschnittliche Träne, von der ich früher ab und zu eine vergoss, wiegt übrigens nur fünfzehn Milligramm. Die Bürde unserer Empfindungsfähigkeit wird davon nicht leichter.
11.10.2022
Mitten in der Coronakrise behauptet ein Europaparlamentarier[9], er „glaube, Gott ist gut, Gott will das (gemeint ist die fragwürdig agierende NGO Sea Eye). Immer öfter schieben Politiker das Christentum vor, wenn es darum geht, ihre urkommunistische Politik zu rechtfertigen. Man muss unwillkürlich an den Kriegsschrei Oliver Cromwells denken The Lord of hosts is with us – Der Herr der Gastgeber ist mit uns!, bevor das Gemetzel begann.
16.10.2022
Das Muster ist eine vor- und abläufige Suche nach der Gestalt. Was die Leute „Gott“ nennen, scheint mir so epigenetischer Metaorganismus zu sein – oder Metamuster, das sich durch ständige Erneuerung weiterentwickelt. Sein Zustand entspricht dem eines Träumers, der an tausend Dingen gleichzeitig arbeitet und doch nie fertig wird.
18.10.2022
Da man die Entscheidung zu leben hinnehmen musste, kann es im Grunde genommen nur eine einzige Entscheidung geben, die man selbst treffen kann, um die erste wieder rückgängig zu machen. Der Selbstmord ist oft genug auch eine abschliessende Beurteilung des Lebens und der Königsweg in einer aussichtslosen Situation die Segel zu streichen.
19.10.2022
Nichts ist für die Anima (Lebenskraft) schlimmer, als wenn es einen in jungen Jahren erwischt. Aber man sollte auch wissen, was einem erspart bleiben wird: Meine Mutter hatte sich Anfang des Jahres einen knochigen, sabbernden Käfer verwandelt. Kafkas Verwandlung ist nichts gegen das, was ich kürzlich mit eigenen Augen sah.
21.10.2022
Nirgends im Strom lebenden Plasmas, der die Weltmeere durchwühlt und das Festland bedeckt, gibt es einen gesicherten Grund: Selbst fest umrissene Gebilde, vom Corona-Virus bis zur Galaxie, sind niemals feste Größen, sondern Fließgleichgewichte. Eine Erklärung der Welt wird immer nur eine vorläufige bleiben.
23.10.2022
Schopenhauer: Wenn die Welt erst ehrlich genug sein wird, um Kindern vor dem 15. Jahr keinen Religionsunterricht zu erteilen, dann wird von ihr was zu hoffen sein.
Da hat er wohl recht.
Wenn man noch darüber hinwegsehen kann, dass im Namen der katholischen Kirche Millionen zu Tode gefoltert wurden, und dass noch immer Aber-Millionen zur Zeugung größeren Elends ermutigt werden, dann muss man das Christentum aus einem anderen Grund ablehnen: Als Wüstenreligion hat es im bewaldeten und fruchtbaren Mitteleuropa nichts zu suchen.
Hier baut man keine Moschee, um Gott anzurufen, sondern steigt einfach auf einen Baum oder klettert auf einen Felsen.
Es ist auffällig wie sehr die Bibel alles Natürliche, angefangen von den Naturgewalten bis hin zur Körperwelt des Weiblichen negiert.
23.10.2022
Der Christ verabscheut die Ambivalenz der Natur, weil er zurecht ihre Überlegenheit fürchtet. Sie gibt alles – und vergibt nichts. Die Berge sind in dieser Hinsicht nicht anders, sie sind die steinerne Maske einer chthonischen Macht, die sich mühelos jeder Kontrolle entzieht, ganz gleich ob wir das Ungeheuer in unseren künstlichen Oasen für wahr haben wollen oder nicht.
27.10.2022
Es stimmt schon, man sieht sich ein erstes Mal und ein letztes Mal im Leben und beides ist nicht von Bedeutung.
Hauke ist von seiner Weltreise zurück. Er habe sich für ein halbes Jahr „Schwarz-Afrika“ angeschaut. „Hättest mal b … sr mitk … mmen … lln.“ Wegen seiner Maske ist der Heimkehrer kaum zu verstehen. In Afrika sei es nicht ganz so schlimm mit Corona gewesen. Oder „anders schlimm“. Erinnern könne er sich an fast nichts, nur dunkle Schlammpisten, vertrocknete Fächerpalmen, „Dreckserdlöcher überall“. Nur das an die tausend Meter tiefe „Natronloch – Trou au Natron – in einer abgelegenen Ecke im Tschad, sei ihm noch immer präsent. Der Abstieg sei wegen der Hitze eine Plackerei gewesen, er habe zu wenig Wasser dabei gehabt, einen halben Liter, im Rückblick, stufte er den Trip als unterbewußten Selbstmordversuch ein.
Zuletzt habe er nur auf die aschgrauen Felsen gestarrt, nicht pinkeln können und nichts empfunden. Weder habe er ein erhabenes Gefühl verspürt, noch irgendeine andere seelische Regung. Rasch habe er sich vor Einbruch der Dunkelheit auf den Rückweg gemacht.
Nachts habe er mit einem Freund, einem Hamburger GEO-Fotografen telefoniert, und erfahren, dass es allen so geht: Diese Reise ins tiefste Herz der Natur sei eigentlich nur rentabel, wenn man dafür bezahlt wird. Ich unterbrach ihn an dieser Stelle und sagte, das gälte auch für das Leben an sich: Im Grunde müsse man für die Strapaze des Existierens bezahlt werden. Ich wollte schnell Teewasser aufsetzen, aber als ich zurückkam, war er verschwunden. Ich glaube, das war’s.

1.11.2022
Die heidnischen Naturreligionen waren exoterisch, sie bildeten ihre Mythen aus der Erkenntnis evolutionärer Gesetze. Sie beobachteten die natürlichen Zyklen und zogen daraus ihre Schlüsse. Das schöpferische Prinzip kann daher nur ewiger Wandel und nicht ewige Widerkehr sein. Das welke Blatt fällt für immer ab, dafür kommt ein anderes Blatt. Die Natur betreibt keine Konservierung aus nostalgischen Gründen.
3.11.2022
Fast zeitgleich mit den Naturphilosophen der Antike hatten die Druiden zwei wichtige Axiome entdeckt, die sich in Gestalten besser ausdrücken ließen als mit Worten: Gemeint sind die morphogenetisch genannten Gestalten Spirale und Baum. Auch die Form Homo sapiens ist nur ein Fünkchen, das die Spirale durchläuft.
6.11.2022
Es hat mich immer wieder interessiert, was Menschen sagen, bevor sie sterben. „Das ich das auch noch mitmachen muss“, kam meiner Großmutter am Schluss über die Lippen. Dabei soll sie gelächelt haben – was blieb ihr auch anderes übrig. Mein Vater, der mich nie wirklich verstand, bat mich mit ihm zu beten. Statt schnell zu sterben, wie es in seinem Fall das Beste gewesen wäre, schleppte ihn sein „schönes starkes Sportlerherz“ (Zitat der behandelnden Schwester) noch eine volle Woche über die Runden. Er ging erst von uns als ihm die Füsse abgefault waren und das kleine, schlecht gelüftete Zimmer, in dem er lag, wie ein Käseladen zu müffeln begann. Es war Hochsommer, er ging im strahlenden Sonnenschein von uns..
Ansonsten verlief sein Eingehen in die Natur sehr sanft. Anhand der Ungereimtheiten, die er noch von sich gab, war anzunehmen, dass sich sein Bewusstsein allmählich aufzulösen begann; zuletzt sang er Hänschen klein wie HAL 9000 in dem Science-Fiction_Film „2001“. – Oder hat HAL gar nicht gesungen?
8.11.2022
Der Schweizer Philosoph und Botaniker Heinz Kunz schrieb 1946 eine bemerkenswerte Abhandlung über Die anthropologische Bedeutung der Phantasie. Er begreife „das Dasein als Sein zum Nichts des Todes“, was den Tatsachen entspricht, Kunz stützt sich dabei auf Heideggers Existenzialanalyse. Im Abstrakten, einem sich jeder Veranschaulichung enthobenen und sich entziehenden Denkens, liegt für ihn der Tod. Dagegen erwächst ihm anthropologisch eminente Bedeutung aus der menschlichen Phantasie (Imagination UND Ideation). Nur Bilderwelten tragen intentional über die Gegenwart des Todes hinweg. Die Vorstellungskraft scheint ein geniales Aggregat des menschlichen Geistes zu sein, das Nichts durch die Erzeugung vermittelbarer Gehalte zu bannen. Da fühlt eine Vor-sich-hin-Schreibende doch gleich so etwas wie Existenzberechtigung.
9.11.2022
Zu einem guten Teil begründet das Christentum seine Macht im Unfrieden mit der Natur: Die Missionare verdammten die Natur- und Elementarkräfte als dämonisch und verleiteten die Menschen, sich ausserhalb der natürlichen Ordnung zu stellen – ein Trugschluss, der die Welt in ein ökologisches Desaster stürzte. Die Eindeutigkeit der Natur als Schöpfungskraft (natura naturans ) musste erst gründlichst zerstört werden, um dann das „grosse Phantom“ in den Köpfen der Menschen zu installieren.
12.11.2022
Als Folge von zweitausend Jahren Christentum stehen wir heute vor einer „entseelten Natur“, die von den Menschen nur auf ihre Verwertbarkeit hin wahrgenommen wird. Auch von den Grünen, die mit ihrer Naturverbundenheit prahlen. Sie haben nicht das Geringste kapiert.

14.11.2022
„Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und macht sie euch Untertan.“ (1. Buch Moses , 28). Auch der Islam hat die Gebärmutter als Waffe erkannt, und ermuntert seine Anhänger zur Zeugung von Menschenmaterial für den kommenden heiligen Krieg. Dennoch bleibt das Christentum das stärkere Gift, weil es sich bevorzugt im Deckmäntelchen der Barmherzigkeit zeigt und dann gegen Abtreibung wettert. Hier wird die totalitäre Haltung dieser Religion mehr als deutlich, da das Austragen einer ungewollten Schwangerschaft, dem Ungeborenen die denkbar ungünstigsten Voraussetzungen im Leben beschert: Einer zum Gebären gezwungene Mutter dürfte es schwer fallen, zu ihrem Kind ein liebevolles Gefühl zu entwickeln.
16.11.2022
Habe bewusst auf die Selbstfortsetzung auf Erden verzichtet, weil ich die Zersetzung von Körper und Geist – so wie ich sie an meiner Mutter erlebe – für unvereinbar mit Bewusstsein erachte. Statt Nachkommen werden Ansammlungen von Buchstaben aus mir hervorgehen, die Klimakleber werden es mir mit Sicherheit danken, das aus meinen Lungen nicht zwei, drei oder noch weitere werden. Hundert Jahre – und von den Niederschlägen meiner geistigen Substanz wird ebenso wenig übriggeblieben sein wie von den Kindern, die ich nicht hatte – so funktioniert nun mal der irdische Kreislauf der unablässigen Vernichtung und Zeugung. Ergo – Kinder, Romane – beides Erzeugnisse einer bio-chemischen Buchstabensuppe namens Maren L., chromosomale Halluzinationen derselben Form von Nichtwirklichkeit.
23.11.2022
Es wird – wenn auch zu später Stunde – klar, dass nur ein atheistischer Staat den Jagdgemeinschaften, die sich um die Gebeine Europas streiten, etwas entgegenzusetzen hat. Das von Skandalen erschütterte Christentum ist nicht in der Lage die Zersetzung der welken Hochkulturen auf diesem Kontinent zu verhindern.

1.12.2022
Erinnern wir uns: Ende 1989 vermeldeten Hirnforscher der Universität von Kalifornien bereits die Entdeckung eines so genannten „Gottes-Moduls“ – ein Areal im vorderen Stirnlappen, dessen Neuronen bei religiösen Gedanken „aktiviert“ werden. Knistert es hier in den Neuronen, kommt es zu religiösen Wallungen und damit somit scheint die esoterische Schnittstelle im menschlichen Körper gefunden zu sein.
9.12.2022
Es besteht biochemisch gesehen eine Verwandtschaft zwischen gewissen Farbstoffen, die heute als Träger der Vererbung angesehen werden
10.12.2022
Wäre die Kirche wirklich so fortschrittlich, wie sie uns glauben machen will, es wäre ihr vornehmstes Anliegen, in den unterschiedlichen Namen für Gott nur sprachliche Varianten zu sehen.
18.12.2022
Ich zähle wohl oder übel zur religiösen Avantegarde, denn ich weiß, was die Völker mit Gott, Allah, Buddha oder sonst einem wohlklingenden heiligen Namen meinen: Schöpfungskräfte. Dieser vielschichtigen, kreativen Intelligenz, die sich in immer neuen materiellen und immateriellen Organisationsgraden offenbart, dürfte es selbstverständlich sein, dass sie von ihren Geschöpfen, verehrt wird.
21.12.2022
Der indogermanische Polytheismus mit seinen Indigitamenta – den Götterketten – bleibt die glaubwürdigste aller Religionen. Sie ist wieder möglich geworden, da den Religionsmächten (ähnlich den Atommächten) nichts anderes übrig bleibt, als sich mit einer in Hyperindividuation schwelgenden Menschheit zu arrangieren: Insgeheim will heute jeder seinen eigenen Gott.
24.12.2022
Die entscheidende Chance für die Rückkehr des Pantheismus liegt vielleicht ausgerechnet im Multikulturalismus – was beweist, dass man auch der widerwärtigsten Sache eine gute Seite abgewinnen kann.
Ist es so schwer, sich einen Altar vorstellen, auf dem ein blau häutiger Baby-Krishna, der gute Jesus an seinem Holzbrett, ein Lachsack in Form einer Buddha-Figur und eine Wasserpfeife in Form eines Minaretts zu einem harmonischen Gruppenbild zusammengefunden haben? Wenn es die Welt befrieden würde, warum nicht?
Mich zieht es eher zu einem sonnenbeschienenen Felsen, den Chthon, der alte steinerne Gott, sich selbst geweiht hat. Er erwartet keine Verehrung von einem weichen Etwas wie mir.
27.12.2022
Je jünger wir waren, desto göttlicher waren wir. Wir brauchten nur unsere festen und energiegeladenen Körper. Wir waren Maschinen,– gut geölte und ausdauernde Automaten der Liebe, scherzhaft von manchen auch die einzigen Maschinen Gottes genannt, die diesen Namen verdienen. Im Rückblick erkennt man erst, was für Vorteile man in einer Gesellschaft genoss, die nicht müde wird, den Jugendwahn zu zelebrieren; man hätte es ausnutzen sollen.

31.12.2022
Man kann nur hoffen, dass es Gott nicht gibt. Auch ohne das Zutun des Menschen geht es auf Erden wüst genug zu. Man sehe sich einmal genauer an, was da vor dem Haus kreucht und fleucht, was da schwimmt und fliegt oder klebrige Fäden webt um Fliegen zu fangen; Killermaschinen, samende und mordende Automaten. Und daran hat sich der Schöpfer Millionen von Jahren erfreut? Was wäre von so einem wohl zu erwarten? Wie wäre all dieser Schmerz jemals zu rechtfertigen – außer durch den Spaß an der Freud, Millionen und Abermillionen Lebewesen krepieren zu sehen.
Es wäre für die Menschheit besser, wenn es einen Schöpfer, der für all das die Verantwortung trägt, nicht gibt. Mit einem creatio ex nihilo liesse sich immerhin leben. Mit einem grossen Verantwortlichen nicht.
Fussnoten:
9] Sven Giegold, „Kirche auf WDR“, 13.4.2020
[11] Jean-PaulSartre
[12] Zitat: „Glück bedeutet, seine Feinde zu vernichten, sie vor sich herzutreiben, sie ihres Reichtums zu berauben, ihre Verwandte in Tränen aufgelöst zu sehen, ihre Pferde zu reiten und auf den weißen Bäuchen ihrer Frauen und Töchter zu schlafen.“
[14] Spiegel-Spezial 3/93
[15]Lat.: Quod licet Iovi, non licet bovi. Was dem Jupiter erlaubt, ist dem Ochsen nicht erlaubt. TERENZ
[16] Siehe Friedrich Murawski „Das Gott“. Umriß einer Weltanschauung aus germanischer Wurzel, Theodor Fritsch Verlag, Berlin 1944, Seite 38
[17] lat. dentriticus, verzweigt
[18] entspricht der Schreibweise der 40er Jahre
[19] Original: Das Wesen des Göttlichen ist uns näher als das Befremdende des Lebe-Wesen.
[20] Henry Miller